Aktenvollständigkeit, zeitnahes Zum-Akt-Nehmen, Akteneinsicht, Recht auf Verteidigung, Schattenakt
- Originalsprache: Deutsch
- JSTBand 7
- Judikatur, 5861 Wörter
- Seiten 59 -67
- https://doi.org/10.33196/jst202001005901
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Mit Blick auf den aus § 51 Abs 1 StPO resultierenden Grundsatz auf Aktenvollständigkeit sind Protokolle von Zeugeneinvernahmen als vorliegende Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zeitnah zum Akt zu nehmen, wobei nach § 8a Abs 1 DV-StAG der Grundsatz der Aktenbildung nach der Zeitfolge gilt, der in einer Aktenübersicht darzustellen ist. Damit soll gewährleistet werden, dass sich der Beschuldigte über die Ermittlungsergebnisse dann informieren kann, wenn diese von den Strafverfolgungsbehörden erlangt wurden. Denn nur so ist eine wirksame Ausübung des Rechts auf Verteidigung gemäß Art 6 Abs 3 lit b EMRK möglich, welches voraussetzt, dass der Beschuldigte über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung verfügt.
Eine Einschränkung der Akteneinsicht in der Form, dass bestimmte Aktenstücke (vorerst) nicht zum Akt genommen werden, sieht das Gesetz nur ausnahmsweise vor. Keinesfalls kann es im Belieben der Staatsanwaltschaft liegen, wann sie Zeugeneinvernahmeprotokolle in den von ihr geführten Ermittlungsakt aufnimmt. Die Frage, ob ein berücksichtigungswürdiger Grund für die Verweigerung oder Beschränkung der Akteneinsicht nach § 51 Abs 2 StPO vorliegt, kann sich erst stellen, wenn die Protokolle Aktenbestandteil sind. Durch ein – auf eine Beschränkung der Akteneinsicht abzielendes – Nicht-Zum-Akt-Nehmen von Zeugeneinvernahmeprotokollen wird die restriktiv zu handhabende Bestimmung des § 51 Abs 2 StPO umgangen und das Recht auf (uneingeschränkte) Akteneinsicht beschränkt.
- Wess , Norbert
- OLG Wien, 08.11.2019, 23 Bs 193/19d
- § 51 Abs 1 StPO
- Art 6 Abs 3 lit b EMRK
- § 51 Abs 2 StPO
- § 107 StPO
- Strafrecht- und Strafprozessrecht
- JST-Slg 2020/4
- § 106 StPO
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