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Journal für Strafrecht

Heft 2, Mai 2024, Band 11

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  • ISSN Online: 2312-1920

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Inhalt der Ausgabe

S. 109 - 112, Aktuelle Gesetzesvorhaben

Tipold, Alexander

Verbotsgesetz-Novelle 2023 – Zur aktuellen Rechtslage

Die Verbotsgesetz-Novelle 2023 ist mit 1.1.2024 in Kraft getreten. Im Vergleich zum Ministerialentwurf wurden nicht nur die §§ 3g und 3h VerbotsG umgestaltet und die inländische Gerichtsbarkeit geregelt, vielmehr sind alle Bestimmungen von der Reform dieses Gesetzes erfasst. Bei der Regelung der inländischen Gerichtsbarkeit weicht das Gesetz erheblich vom ME ab. Darüber hinaus wurde § 2 Uniform-Verbotsgesetz von einer gerichtlichen zu einer verwaltungsrechtlichen Strafbestimmung. Änderungen gibt es auch in den Verwaltungsstrafbestimmungen des EGVG, AbzeichenG und Symbole-G. Die Reform des VerbotsG hebt sich in seiner Differenziertheit und Begründung erfreulicherweise stark von den letzten kriminalpolitischen Akzenten des BMJ und des Gesetzgebers des Jahres 2023 ab.

S. 113 - 117, Aufsatz

Derntl, Johannes

Sozialbetrug und Stornierung von Dienstnehmern

Beim Sozialbetrug ieS gem § 153d StGB werden Dienstnehmer (DN) zur Sozialversicherung (SV) in dem Wissen angemeldet, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden SV-Beiträge nicht oder nicht vollständig geleistet werden sollen. Bei der gem § 153e StGB strafbaren Schwarzarbeit werden DN erst gar nicht angemeldet, und die Abfuhr der Beiträge unterbleibt. Betrug ist eine durch Täuschung veranlasste Vermögensschädigung mit Bereicherungsvorsatz (§ 146 StGB). In diesem Beitrag wird die Strafbarkeit für den Fall untersucht, dass DN in dem Wissen angemeldet werden, die Beiträge nicht vollständig zu bezahlen. Im Nachhinein wird die Anmeldung dieser DN zu Unrecht storniert, und der Saldo am Beitragskonto ist ausgeglichen oder reduziert, bzw erweckt das Kontobild überhaupt den Anschein, als ob nie Beiträge aufgelaufen seien.

S. 118 - 124, Aufsatz

Soyer, Richard/​Marsch, Philip

VfGH zur Handysicherstellung ; Eigentlich: VfGH zur Sicherstellung von Daten(-trägern) und IT-Endgeräten ; Parallel: VfGH zum doppelten Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren

Der Beitrag beschäftigt sich mit zwei zeitnah ergangenen Erkenntnissen des VfGH, mit denen einerseits die Bestimmungen der StPO im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Datenträgern als verfassungswidrig aufgehoben und andererseits der doppelten Rechtsschutz im Ermittlungsverfahren durch Gericht und Datenschutzbehörde bestätigt wurden.

S. 125 - 130, Aufsatz

Kaiser, Nina/​Leibetseder, Ida

Spezialprävention in der Praxis: Zum Entscheidungsverhalten von Richter:innen und Staatsanwält:innen

Strafzumessungsentscheidungen haben „spezialpräventiv zweckmäßig“ zu sein. Hiermit rücken die individuellen Täter:innen betreffende präventionsorientierte Faktoren in den Vordergrund, wobei wenig Klarheit darüber besteht, welche Beweggründe in der Praxis tatsächlich miteinbezogen werden. Die vorliegende Studie beschäftigt sich daher mit der Frage nach der Relevanz einzelner spezialpräventiver Beweggründe im Entscheidungsverhalten hinsichtlich strafrechtlicher Reaktions- und Sanktionsformen und vergleicht die Entscheidungspraxis von Richter:innen und Staatsanwält:innen.

S. 131 - 137, Aufsatz

Schindecker, Norbert

Schwere Straftaten als Ordnungswidrigkeiten im Strafvollzug

Bereits vor Jahrzehnten hat sich für den Fall der Begehung schwerer Straftaten (zB einen Mord) durch Insassen einer Justizanstalt eine bestimmte Interpretation der Vorgaben über die Ordnungsstrafen im Strafvollzugsgesetz (StVG) dahingehend etabliert, dass solche nicht als Ordnungswidrigkeiten iS von § 107 StVG geahndet werden können. Im vorliegenden Beitrag wird insbesondere versucht, die mit der Herleitung dieses Ergebnisses bei näherer Betrachtung kaum überwindbaren systematischen Probleme sowie die Hintergründe der im Gesetz normierten Bestimmungen zu illustrieren.

S. 138 - 141, Finanzstrafrecht Aktuell

Huber, Christian

Zur Zuständigkeitsabgrenzung innerhalb des Amtes für Betrugsbekämpfung und des Zollamts Österreich nach den jeweiligen Geschäftsverteilungen (Teil 3)

Dieser Beitrag setzt die Serie an Darstellungen der Zuständigkeitsabgrenzungen innerhalb des Amtes für Betrugsbekämpfung (ABB) einerseits und des Zollamtes Österreich (ZAÖ) andererseits fort, welche im Heft 02/2023 begonnen und im Heft 06/2023 fortgesetzt wurde. Dieser dritte Teil setzt die Zuständigkeitsverteilungen im Ermittlungsverfahren beim ABB fort, wobei insbesondere auf die mit Wirksamkeit zum 1. 7. 2022 neu eingeführte bundesweit einheitliche Zuständigkeit eines einzigen Teams Strafsachen zur Durchführung des Finanzstrafverfahrens – für Finanzvergehen, die nach dem 31.12.2020 begangen wurden – eingegangen wird. Ferner wird für die praktische Umsetzung dieser Zuständigkeitsregelungen ein Fallprüfungsschema präsentiert, welches die wichtigsten Punkte aufzählt, die möglicherweise zu einer Zuständigkeitsänderung führen. Abschließend wird noch auf die möglicherweise eintretenden Änderungen der Zuständigkeit während eines laufenden Untersuchungsverfahrens eingegangen bzw auf die letztmöglichen Zeitpunkte einer noch möglichen Sanierung der nunmehr eingetretenen Unzuständigkeit von Teams Strafsachen des Amts für Betrugsbekämpfung.

S. 142 - 144, Europastrafrecht Aktuell

Zeder, Fritz

Übergabe im Verhältnis zum Vereinigten Königreich aufgrund des Handels- und Zusammenarbeitsabkommens – welches Verfahrensrecht?

Seit dem 1.1.2021 findet die Übergabe aufgrund von Haftbefehlen im Verhältnis zum Vereinigten Königreich auf der Grundlage des Abschnitts über Übergabe im Handels- und Zusammenarbeitsabkommen statt, das die Union mit dem Vereinigten Königreich abschloss. Aus Anlass einer aktuellen Entscheidung des OLG Innsbruck werden zunächst die unionsrechtlichen Grundlagen rekapituliert; sodann wird der Frage nachgegangen, welche nationalen Verfahrensbestimmungen am besten angewendet werden sollten.

S. 145 - 148, Judikatur

Soyer, Richard/​Caspar-​Bures, Bettina

Vergabeverfahren iS des § 168b StGB

1. Der Wortlaut des § 168b StGB unterscheidet nicht zwischen öffentlichen und privaten Auftraggebern; private Auftraggeber sind vom Anwendungsbereich umfasst.

2. Der Wortlaut des § 168b StGB beschränkt sich nicht auf Verfahren nach dem BVergG; er umfasst Verfahren zur Beschaffung von Leistungen, dabei stellt er nicht auf ein an formalrechtliche Regeln gebundenes Procedere ab.

S. 148 - 150, Judikatur

Hollaender, Adrian Eugen

Aufhebung des Wahrspruchs der Geschworenen zufolge rechtsirriger Annahme von Idealkonkurrenz zwischen Mord und Nötigung

Das Verbrechen des Mordes nach §§ 15, 75 StGB und das Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB können nicht nebeneinander bestehen. Solcherart schließen einander die beiden im Wahrspruch der Geschworenen und im Urteil angenommenen Taten in dieser Form logisch aus, woraus die Aufhebung des Wahrspruchs und des gesamten Urteils folgt.

S. 150 - 155, Judikatur

Strauss, Daniel

Vorläufige Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum

Auch die vorläufige Unterbringung setzt einen dringenden Tatverdacht nach § 431 Abs 1 iVm 173 Abs 1 StPO voraus, der mehr als eine Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ist. Weiter ist Voraussetzung für die vorläufige Unterbringung das Vorliegen eines Haftgrunds, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme und das Fehlen gelinderer Mittel.

S. 156 - 161, Judikatur

Übergabe Im Verhältnis Zum Vereinigten Königreich ; Rahmenbeschluss 2002/584/JI

In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist das Bundesgesetz über das Übergabeverfahren mit Island und Norwegen (INÜG) nicht „sinngemäß“ oder „analog“ anzuwenden. Auch wenn der Titel VII des dritten Teils des Trade and Cooperation Agreement (TCA) in wesentlichen Teilen dem Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen folgt, ist die vom Bundesministerium für Justiz bereits im Erlass vom 15.1.2021 angekündigte „beabsichtigte Erweiterung des INÜG auf Bestimmungen zum Übergabeverkehr mit dem Vereinigten Königreich“ bis dato noch nicht (legistisch) erfolgt und ist im Übrigen nach Auskunft des Bundesministeriums für Justiz auch mit einer zeitnahen Umsetzung nicht zu rechnen.

S. 161 - 161, Judikatur

Dolmetschergebühren im elektronischen Rechtsverkehr

Übermittelt ein:e Dolmetscher:in keine schriftliche Übersetzung, sondern erbrachte sie ihre Übersetzungstätigkeit mündlich während des Beratungsgespräches des Verteidigers mit dem Angeklagten in der Justizanstalt, steht ihr für die bloße Übermittlung der Gebührennote im elektronischen Rechtsverkehr die Gebühr von 12 Euro (§ 31 Abs 1a, § 53 Abs 1 Z 3 GebAG) nicht zu.

S. 162 - 163, Judikatur

Suchtgifthandel, Einfuhr, Gewerbsmäßigkeit, Einziehung von Suchtgift

Die Qualifikation nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG in Bezug auf die Einfuhr von Suchtgift kommt nur dann in Betracht, wenn gerade diese Tathandlung in der Absicht begangen wurde, aus ihr selbst (und nicht etwa aus dem späteren gewinnbringenden Verkauf des eingeführten Suchgifts) eine Einnahme zu erzielen.

Die Einziehung des sichergestellten Suchtgifts muss auf konkrete, einem Angeklagten zuzuordnende Suchgiftmengen Bezug nehmen.

S. 163 - 164, Judikatur

Suchtgifthandel, Grundrechtsbeschwerde, Erfordernisse eines Beschlusses auf Haftverlängerung

Setzt das OLG im Rahmen einer Beschwerdeentscheidung die Untersuchungshaft fort, muss es selbst Sachverhaltsannahmen zum dringenden Tatverdacht treffen, welche die rechtliche Beurteilung ermöglichen, ob durch die solcherart als sehr wahrscheinlich angenommenen Tatsachen eine hafttragende strafbare Handlung begründet wird.

Für die Annahme eines dringenden Tatverdachts in Richtung § 28a Abs 1 SMG muss das Nettogewicht des Suchtgifts samt Reinheitsgehalt genannt werden.

S. 164 - 165, Judikatur

Vorbereitung von Suchtgifthandel, Vorsatz, Rechtsfehler mangels Feststellungen

Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 SMG in subjektiver Hinsicht voraus, dass sich der Vorsatz des Angeklagten auf den (hier) Erwerb und Besitz einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Suchtgiftmenge bezieht.

S. 165 - 165, Judikatur

Suchtgifthandel als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, Vorverurteilung, Doppelverwertungsverbot, Erschwerungsgrund, Sanktionsrüge

Wenn der Angeklagte in einem früheren Urteil zweier Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG schuldig erkannt wurde, darf diese Vorverurteilung ohne Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot im Rahmen der Strafbemessung wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1, Abs 4 Z 1 SMG als erschwerend berücksichtigt werden.

S. 166 - 166, Judikatur

Akteneinsicht – Einsichtnahme in das Vollzugshandbuch (VZH)

Es besteht kein subjektives Recht auf Auskunftserteilung betreffend einen (bloß) interne Anordnungen beinhaltenden Erlass.

S. 166 - 166, Judikatur

Rechtswirkung eines Erlasses gegenüber Inhaftierten

Aus einem Erlass des Bundesministeriums für Justiz an die nachgeordneten Dienststellen können inhaftierte Personen kein subjektives Recht ableiten.

S. 167 - 167, Judikatur

Videotelefonie

Ein subjektiv-öffentliches Recht auf die Führung von Videotelefonaten besteht nicht.

S. 167 - 168, Judikatur

Ordnungsstrafverfahren – Feststellung des Sachverhalts (1); Ungebührliches Benehmen (2); Strafzumessung (3)

Allein der Umstand, dass aus den vorliegenden Ermittlungsergebnissen auch andere Schlüsse gezogen werden könnten, macht die Beweiswürdigung nicht unschlüssig. (1)

Ungebührliches Benehmen ist unter § 107 Abs 1 Z 9 StVG (und nicht unter Z 10 StVG) zu subsumieren. Ungebührliches Benehmen gegenüber einer im Strafvollzug tätigen Person im Sinne der Z 9 des § 107 Abs 1 StVG ist objektiv zu beurteilen. Es kann in einer mündlichen Äußerung gelegen sein und soll nicht die Möglichkeit einer Partei beschneiden, sachliche Kritik am Vorgehen oder Verhalten eines Behördenorgans zu äußern. Dabei muss sich der Strafgefangene aber in den Grenzen der Sachlichkeit halten. (2)

Das Zusammentreffen zweier Ordnungswidrigkeiten ist aufgrund des die Verhängung zweier Strafen bedingenden Kumulationsprinzips nicht erschwerend zu werten. (3)

S. 168 - 169, Judikatur

Ordnungsstrafverfahren – Beginn der Rechtsmittelfrist (1); Rechtsmittelbelehrung (2)

Durch die Verkündung der Entscheidung wird der Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt. Nur wenn spätestens am dritten Tag nach dem Tag der Verkündung eine schriftliche Ausfertigung verlangt wird, ist für den Lauf der Frist die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung maßgeblich. (1)

Die Erteilung einer falschen Rechtsbelehrung rechtfertigt in Ermangelung einer gesetzlich angeordneten bindenden Wirkung von behördlichen Auskünften und Zusagen die Nichtanwendung bindender gesetzlicher Regelungen nicht. (2)

S. 172 - 174, Judikatur

Müller, Lukas Emanuel

Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts Berlin in der Rechtshilfesache gegen die WBS GmbH, C-635/23

Kann eine Europäische Ermittlungsanordnung, die eine nach dem Recht des Anordnungsstaats den Gerichten vorbehaltene Maßnahme betrifft, im Zusammenwirken mit einer nicht-gerichtlichen Validierungsbehörde von einer anderen zuständigen Behörde im Sinne des Art 2 lit c sublit ii der Richtlinie 2014/41/EU über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen erlassen werden, wenn ein Gericht des Anordnungsstaats die Ermittlungsmaßnahme zuvor genehmigt und dabei die in der Richtlinie 2014/41/EU vorgesehenen Prüfungs- und Begründungspflichten erfüllt hat?

S. 175 - 176, Judikatur

Rechtsprechungsübersicht EGMR – Kurzinfo

Der Bf, ehemaliger Innenminister, wurde im Zuge eines Wiederaufnahmeverfahrens 2016 der Geldwäsche für schuldig befunden. Seine durch das zuvor durchgeführte Strafverfahren verhängte Haftstrafe wurde im Februar 2015 aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands ausgesetzt. Im September 2016 tauchten Aufnahmen auf, die ihn beim Basketballspielen zeigten. Aufgrund der großen Medienaufmerksamkeit gab der damalige Justizminister Goran Klemenčič am 27. September 2016 (dem Tag, an dem die Basketball-Aufnahmen auftauchten) ein Interview mit POP TV (einem privatrechtlichen Fernsehsender). Der damalige Justizminister traf unter anderem folgende Aussage: „Wenn dieser Fall [Bavčar] verjährt, möchte ich hier sagen: [...] Hier werde ich alles tun, um Köpfe rollen zu lassen. [...] [Ich werde dies] nicht tun, weil jemand verurteilt oder freigesprochen werden soll [...], sondern weil die Verjährung von Gerichtsverfahren, und davon haben wir zu viele, das schlimmstmögliche Ergebnis ist. Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird, aber wenn doch [...] denke ich, dass eine Menge Leute sich [dafür] verantworten müssen, und ich werde der Erste sein, der Antworten verlangt [...].“ Der Bf behauptete einerseits, Geldwäsche könne nicht das Ergebnis eines indirekten Vorsatzes sein und er sei somit in seinen Rechten nach Art 7 EMRK verletzt, und andererseits, dass das Fernsehinterview des damaligen Justizministers Druck auf die Richter des Obersten Gerichts Sloweniens ausgeübt hätte und dies gegen die Unschuldsvermutung spreche.

Der EGMR stellte hinsichtlich der Unschuldsvermutung fest, dass die Äußerungen des Justizministers eine Schuld des Bf implizierten und eine Reaktion bei den Gerichten und der Regierung auslösten. Die kumulative Wirkung dieser Äußerungen im Fernsehinterview war geeignet, das Oberste Gericht in seinem Urteil zu beeinflussen. Der Bf wurde daher in seinen Rechten nach Art 6 Abs 2 EMRK verletzt. Der Gerichtshof führte hinsichtlich Art 7 EMRK (Bestimmtheitsgebot im Strafrecht) aus, dass das Gericht bei der Wiederaufnahme des Verfahrens den Bf wegen zweier Handlungen der Geldwäsche verurteilt hatte. Er war nach der damals geltenden Rechtslage verurteilt worden, obwohl sich die Auslegung des Begriffs „Vorsatz“ zwischen der Begehung des Verbrechens und dem endgültigen Urteil geändert hatte. Der EGMR stellte fest, dass diese Auslegung das Ergebnis der Entwicklung einer erkennbaren Rechtsprechungslinie ist, dem Straftatbestand entsprach, vorhersehbar und mit der Konvention vereinbar war. Der Bf wurde somit nicht in seinen Rechten nach Art 7 EMRK verletzt.

Der Bf, ein ehemaliger Lehrer (türkischer Staatsbürger), wurde wegen der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation, konkret der FETÖ/PDY (sog Gülen-Bewegung), zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten verurteilt. Seine Verurteilung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass er den Nachrichtendienst ByLock nutzte. Die innerstaatlichen Gerichte gingen davon aus, dass dieser ausschließlich für die Mitglieder der Organisation FETÖ/PDY entwickelt wurde. Der EGMR stellte fest, dass eine bloße Nutzung des Nachrichtendienstes nicht in Einklang mit den innerstaatlichen Regeln über die Verurteilung wegen der Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung steht. Die Definition des Straftatbestands der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung nach dem innerstaatlichen Recht setze besondere Kenntnisse und vorsätzliches Handeln voraus. Insb müsse nachgewiesen werden, dass der Bf aufgrund der Kontinuität, der Vielzahl und der Intensität seiner Aktivitäten eine Verbindung zu der Organisation hatte und er wusste, dass es sich um eine Organisation handelt, die Verbrechen beging oder plante zu begehen, und spezifischer Vorsatz zur Verwirklichung dieses Ziels beim Bf vorlag. Eine Verurteilung erfolge nur dann, wenn nachgewiesen wird, dass der Bf wissentlich und willentlich innerhalb der hierarchischen Struktur der Organisation gehandelt und sich deren Ziele zu eigen gemacht hat. Der EGMR erkannte, dass ByLock kein gewöhnlicher kommerzieller Messaging-Dienst ist und dass dessen Nutzung auf den ersten Blick eine Verbindung zur Gülen-Bewegung nahelegen könnte. Für eine Verurteilung aufgrund der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung sei jedoch nicht die bloße Verbindung mit einem angeblich kriminellen Netzwerk ausreichend, sondern es bedürfe einer tatsächlichen Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung. Der Bf wurde somit in seinen Rechten nach Art 7 EMRK (nullum crimen, nulla poena sine lege) verletzt. Zudem stellte der EGMR Verfahrensmängel fest, insb hinsichtlich des Zugangs des Bf zu den ByLock-Beweisen und seiner Fähigkeit, diese wirksam anzufechten. Dies stellt einen Verstoß gegen sein Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK dar. Derzeit liegen dem Gerichtshof etwa 8.500 Beschwerden vor, die ähnliche Art 7 und/oder 6 EMRK-Verfahren betreffen. Angesichts der Tatsache, dass die Behörden rund 100.000 ByLock-Benutzer identifizierten, seien noch viele weitere Beschwerden zu erwarten. Der Gerichtshof stellte gem Art 46 EMRK fest, dass die Türkei allgemeine Maßnahmen ergreifen muss, um diese systemischen Probleme zu beheben, insb im Hinblick auf die Vorgehensweise der türkischen Justiz bei ByLock-Beweisen. Der Gerichtshof stellte außerdem fest, dass eine Verletzung von Art 11 EMRK vorliegt, da der Anwendungsbereich des Straftatbestands in unvorhersehbarer Weise ausgeweitet wurde, als sich das Gericht zur Bekräftigung der Verurteilung des Bf auf seine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft und einem Verein – die als der FETÖ/PDY nahestehend angesehen werden – gestützt hat, die beide zum maßgeblichen Zeitpunkt rechtmäßig tätig waren.

Der Bf wurde wegen des Verstoßes gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz angeklagt und in Untersuchungshaft genommen. Wegen seines aggressiven und bedrohlichen Verhaltens wurde der Bf wiederholt in einer Beobachtungs- und Sicherheitszelle untergebracht. Der Bf wurde in einer solchen Beobachtungszelle von zwei Gefängniswärtern mit Pfefferspray besprüht. Die Gefängnisleitung behauptete, das Gefängnispersonal habe Pfefferspray verwenden müssen, weil der Bf unruhig und aggressiv gewesen sei, seine Matratze in Stücke zerrissen habe, auf den Boden uriniert und einen Gefängniswärter angegriffen habe. Der Bf brachte vor, dass er passiv gewesen sei, als die Gefängniswärter die Zelle betraten, und dass er, nachdem er besprüht worden war, das Bewusstsein verloren habe und in eine Sicherheitszelle geschleppt und dort an ein Bett gefesselt worden sei. Der EGMR stellte mehrere Mängel bei der Untersuchung des Vorgangs fest. Allen voran sei keine Beurteilung erfolgt, ob die Anwendung von Gewalt durch den Einsatz von Pfefferspray gegen den Bf unbedingt notwendig war, warum die Gefängniswärter in die Zelle gingen und ob das Betreten unbedingt erforderlich war. Bei der Untersuchung sei nicht darauf geachtet worden, ob eine Risikobewertung bzw eine spezifische Vorbereitung vor dem Betreten der Zelle stattgefunden hat. Eine solche Vorbereitung hätte Aufschluss darüber geben können, ob der Bf ohne den Einsatz von Pfefferspray unter Kontrolle hätte gebracht werden können. Insb führte der EGMR aus, dass die Durchführungsverordnung Nr 296 vom 28. März 2017 über die Anwendung von Gewalt gegen Insassen in Gefängnissen ausdrücklich verlangt, dass ein Gefangener gewarnt werden muss, bevor Pfefferspray eingesetzt wird, und dass ihm die Möglichkeit gegeben werden muss, den Anordnungen der Gefängniswärter Folge zu leisten. Die Verordnung legt zudem fest, dass jeglicher Einsatz von Pfefferspray in einem Register zu erfassen ist, dass Hilfe zur Linderung der dadurch verursachten Symptome zu leisten ist und dass der Gefangene über die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen, zu informieren ist. Es sei nicht nachvollziehbar gewesen, ob die Untersuchung ergeben hatte, dass dem Bf Hilfe zur Linderung seiner Symptome angeboten wurde und ob der Vorfall in einem speziellen Register erfasst und dem Gefängnis- und Bewährungsdienst mitgeteilt wurde. Der EGMR stellte fest, dass nicht sorgfältig geprüft wurde, ob die Verfahrensgarantien für den Einsatz von Pfefferspray eingehalten wurden. Der Bf wurde daher in seinen Rechten nach Art 3 EMRK verletzt.

S. 185 - 185, Forschungspreis

Tag der Vollzugsforschung 2024

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